Zwischen Rüstungsexpansion auf der einen Seite und wachsenden ökonomischen Problemen auf der anderen Seite erhielt gerade die Frage der Lebensmittelversorgung im 1. Wk. eine immer stärkere kriegspolitische Brisanz. Zum einen wurde die physische und psychische Widerstandskraft der Bevölkerung geschwächt und somit die Fähigkeit, einen Krieg durchzustehen, herabgesetzt. Zum anderen bildete die Lebensmittelnot eine der wesentlichen Quellen wachsender politischer Unruhen und zunehmender Verschärfung der sozialen Gegensätze in einem von inneren Spannungen erschütterten Kaiserreich. Die Begriffe Hungerblockade und Heimatfront dienten der Indentifikation mit den nationalen Zielen und bildeten damit ein wirksames Propaganda-Mittel, die Zivilbevölkerung dahingehend zu beeinflussen, ihre eigenen Bedürfnisse hinter die Kriegsanforderungen zurückzustellen.
Die vorliegende Arbeit soll einen Betrag dazu leisten, das komplexe Gebilde der Kriegsernährungswirtschaft als Verknüpfung von agrarischer Produktion, Verteilung und Konsumtion der knappen Nahrungsmittelressourcen in seiner Gesamtheit zu erfassen. Daher hat sich die Autorin in der vorliegenen Arbeit zum Ziel gesetzt, Ursachen und Verlauf der staatlichen Ernährungswirtschaft darzustellen, sowie zusätzlich das Versorgungssystem in seinen Auswirkungen auf die veränderte Lebensweise der Betroffenen festzuhalten. Im Mittelpunkt dieser Studie steht die Alltagserfahrung von Krieg und Kriegswirtschaft auf allen drei Ebenen des Versorgungssystems: Produktion, Distribution und Konsumtion.
Obwohl es sich bei dieser Studie nur um eine begrenzte Regionalstudie handelt, sind die beschreibenen Strukturprozesse beim Aufbau des Kriegswirtschaftssystems und die sich verändernden Konsumverhältnisse für die westfälische Zivilbevölkerung zwischen 1914 und 1918 als symptomatisch für die Situation im ganzen Deutschen Reich anzusehen. Eine Analyse der kommunlen Kriegsernährungwirtschaft Westfalens bietet gerade durch die Gegensätzlichkeit von ausgesprochenen Bedarfszentren wie dem Ruhrgebiet bis zu Städten in einem betont agrarisch geprägten Umland die Möglichkeit, die Umsetzung wirtschafts- und sozialpolitischer Entscheidungen der Reichs- und Stasministerien auf regionaler Ebene festzuhalten und ihre Auswirkungen für die städtischen Versorgungssysteme und die Reaktion der Bevölkerung aufzuzeigen.
Da der Kriegsausgang ganz entscheidend von der Funktionsfähigkeit der Montanindustrie abhing, fiel dem Ruhrgebiet als einem der Hauptrüstungszentren eine Schlüsselrolle zu. Fallstudien für die Industriestädte Bochum und Herne, der sauerländischen Stadt Lüdenscheid und der ostwestfälischen Stadt Bielefeld sollen verdeutlichen, ob gewisse Standortvorteile für die kommunale Versorgungssituation eine Rolle spielen. Ausschlaggebend war jedoch auch die vorliegende Quellenlage in den Städten.
Es werden im Rahmen der Arbeit folgende drei Bereiche dargestellt: - die Grundlagen kommunaler Lebensmittelversorgung in Westfalen während der Kriegsjahre (Nahrungsmittelproduktion, Kriegsernährungswirtschaft, das Rationierungssystem und die Klassifizierung der Konsumentengruppen), - der Einfluss des Staates und der Nahrungsmittelversorgung auf die Konsumgewohnheiten sowie - die wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen der Lebensmittelnot auf die Zivilbevölkerung.
Themen:
Datentabellen in HISTAT:
A Nahrungsmittelproduktion unter dem Einfluß der WirtschaftsblockadeA.1 Entwicklung der Anbauflächen bei Brotgetreide, Kartoffeln und Zuckerrüben in Westfalen in ha, 1913/14 – 1918/19. A.2 Auftriebszahlen auf dem Dortmunder Schlachtviehmarkt 1914-1918A.3 Importüberschuß an Schweinen und Schweinefleisch im Deutschen Reich 1913-1918A.4 Milchproduktion der Stadt Herne 1914-1918A.5 Agrarproduktion in Westfalen in dz 1914-1918A.6 Viehbestand in Westfalen 1914 – 1918A.7 Kommunale Viehaltung in Bochum, Herne, Lüdenscheid und Bielefeld 1914-1918
B. Die Kriegsernährungswirtschaft, Aufbau und RationierungB.1 Monatliche Ernährungsausgaben in Arbeiterhaushalten 1914-1918 (Mark/Kopf)B.2 Durchschnittliche Preisschwankungen im westfälischen Kleinhandel 1914-1918 (Pfg/kg)B.3 Staatlich festgelegter Ausmahlungsgrad für Roggen und Weizen 1914-1918B.4 Brotgetreidelieferungen an das Heer und die Zivilbevölkerung durch die Kriegsgetreidegesellschaft und die Reichsgetreidestelle 1914-1918B.5 Brotgetreideversorgung in Westfalen in dz auf Grundlage von Verteilungsplänen der Reichsgetreidestelle (1914-1918)B.6 Verlauf der Nahrungsmittelrationierung in Westfalen (pro Monat, kcal/Tag) 1916 – 1918B.7 Entwicklung der Massenspeisung im Deutschen Reich und in den Städten Bielefeld, Bochum, Dortmund, Herne und Münster (pro Monat, in v.H. der Einwohner), 1916 – 1918B.8 Nahrungsmittelkonsum nach den Erhebungen des Kriegsausschusses für Konsumenteninteressen 1916-1918B.9 Anteil der wichtigsten Nahrungsmittel an der Gesamtnahrungsmenge (in v.H.) 1916 – 1918B.10 Nahrungsmittelverzehr in Deutschland pro Kopf und Jahr (in Kg.) 1910-1913B.11 Die Anrechnung von Lebensmittelkarten im Deutschen Reich nach der Art der Hauptnahrungsmittel
C Auswirkungen der LebensmittelnotC.1 Anstaltssterblichkeit in Preußen und Westfalen (in v.H.) 1914-1918C.2 Tuberkulosesterblichkeit in Preußen und westfälischen Industriegebieten 1913-1918C.3 Sterblichkeit der Zivilbevölkerung in den Städten Herne, Lüdenscheid und Bielefeld (auf 1000 Einwohner) 1914-1918C.4 Sterblichkeit im Deutschen Reich 1914-1918C.5 Sterblichkeit nach Altersklassenn im Deutschen Reich 1914-1918C.6 Ergebnisse der Volkszählung in den kreisfreien Städten der Provinz Westfalen 1910 – 1919
D Auswirkungen des Krieges auf die Arbeitskräfte am Beispiel des BergbausD.1 Belegschaftsveränderungen im Regierungsbezierk Arnsberg 1913-1918D.2 Die Leistungen der Bergleute im Oberbergamtbezierk Dortmund 1913-1918
Quellen:
Archivalien:
Aktenbestände aus den Staatsarchiven Münster, Detmold, Bochum, Bielefeld, Gelsenkirchen, Herne und Lüdenscheid; Aktenbestände aus dem Landesarchiv Berlin und dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf sowie dem Bundesarchiv Koblenz. Aktenbestände aus dem ehemaligen Zentralen Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg, welche in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin übergegangen sind.
Publizierte Quellen und Statistiken:
Zeitschriften, amtliche Periodika
Wissenschaftliche Publikationen